Ein Physiker muss Experimente druchführen, um seine Thesen zu überprüfen. Eine letzte Gewissheit wird er aber niemals erlangen können. Mathematiker sind da besser dran. Zur Mathematik braucht man die reale Welt bestenfalls als Anschauungsmaterial, aber nicht um zwischen wahr und falsch zu unterscheiden.
Zählen
Große Teile der Mathematik lassen sich auf zwei Dinge zurückführen: Zählen und Logik. Zählen war schon eine tolle Erfindung. Man stelle sich vor, wie schwierig es wäre ein Tauschgeschäft durchzuführen, um z.B. Schafe gegen Ziegen zu tauschen, so dass man pro Schaf eine Ziege bekommt. Man müsste die Schafe und die Ziegen an einem Ort zusammenbringen und paarweise nebeneinander aufstellen. Nur so könnte man überhaupt feststellen, dass es gleichviel Schafe wie Ziegen sind.
Kann man aber Zählen, so ist die Sache viel einfacher. Man muss nur noch Zahlen austauschen und nicht mehr Schafe oder Ziegen. Das ist viel einfacher. Zum Zählen kann man Kerben in einen Stock schnitzen.
Oder besser: man erfindet Worte für jede Anzahl von Kerben und nennt die "eins", "zwei", "drei" ..., dann braucht man nichmalmehr einen Stock, sondern muss sich nur noch das Wort merken. Diese Worte, die man beim Zählen benutzt, nennt man "natürliche Zahlen".
Die Zahl "drei" ist die Zahl, die sich ergibt, wenn man zu "zwei" noch "eins" hinzutut. Wenn man weiß, was "eins" und "zwei" bedeutet, dann ist damit alles gesagt. Unweigerlich kommt man so zu der Frage
woher kommt die Eins? Tatsächlich hat man sich aber um die Eins nie wirklich Sorgen gemacht. Heftig umstritten war dagegen die Null.
Man hat auch eine Art Kurzschrift erfunden, so dass wenn man eine Zahl aufschreiben möchte (damit man sie sich nicht merken muss) man nicht "zweiundvierzig" hinschreiben muss, sondern "42" schreiben kann.
Zahlen kann man übrigens weder sehen noch anfassen. Die Aussage, dass sich die Wissenschaft nur mit dem Sichtbaren befasst gehört daher in den Bereich der Mythen.
Zählen für Fortgeschrittene
Man stellt erstaunt fest, dass man Zahlen addieren kann und dass es dabei auf die Reihenfolge nicht ankommt. Zwei Schafe und drei Schafe zusammengenommen, und dann noch vier Schafe dazu - das ist Gleiche wie zwei Schafe und die Herde die sich ergibt wenn man zu drei Schafen noch viere hinzutut. Als Formel geschrieben erkennt man Assoziativgesetz.
(2 + 3) + 4 = 2 + (3 + 4)
Und dabei kommt es auf die konkreten Zahlen 2,3 und 4 nicht an, sondern das gilt immer.
(a + b) + c = a + (b + c)
Ferner stellt man fest, dass wo man etwas hinzu tun kann, man auch etwas wegnehmen kann. Was passiert, wenn ich von drei Ziegen drei wegnehme? Oha - es bleicht
Nichts übrig, zumindest keine Ziegen. Die Vorstellung
Nichts zu zählen war den Menschen lange unheimlich. Damit wollte man nichts (sic!) zu tun haben. So hat man das "Jahr 0" sorgfältig vermieden, Das Jahr unmittelbar vor "1 n. Chr." ist das Jahr "1 v. Chr.". Das ist erstaunlich, wenn man bedenkt, wie leicht man auf die Null kommen kann und wie wenig Ärger diese Zahl macht. Nicht alles was auf den ersten Blick wie Teufelszeug aussieht ist auch Teufelszeug.
Auch beim Hinzufügen und Wegnehmen kommt es auf die Reihenfolge nicht an.
( a + b) - c = a + (b - c)
Mit konkreten Zahlen ergibt sich beispielsweise
(2 + 3) - 4 = 2 + (3 - 4)
Das ist zweifellos war, aber was zum Teufel soll (3 - 4) sein. Das ist mit "Zählen" noch schwerer zu erklären wie die Null.
Die Lösung diese Problemchens ist bekannt: man hat die negativen Zahlen erfunden. Die sind zwar ein bischen schräg, weil nichts was man zählen kann jemals eine negative "Anzahl" haben kann, aber bei der Rechnerrei ist das ein furchtbar nützliches Konstrukt. Die Zahl "Minus eins" ist beispielweise die Zahl, zu der man 2 hinzutun kann und dann am Ende 1 herauskommt.
Auf den ersten Blick klingt das wenig überzeugend, aber bei genauerer Betrachtung muss man zugeben, dass eigentlich
jedes Wort auf diese Art definiert ist. Man konstruiert ein neues Wort aus anderen Wörtern, deren Bedeutung man bereits kennt.
So geht es dann eine Weile weiter. Man entdeckt immer neue Zahlen "die es eigentlich geben müsste" und erfindet die kurzerhand. So entstehen die rationatioen Zahlen und die algebraischen Zahlen.
Kein Zweifel
So wie wir neue Zahlen erfinden, können wir sicher sein, dass sie etwas bedeuten. Schließlich können wir zu jeder Zahl eine Art Konstruktionsanleitung geben. Im Gegensatz zu Physikern müssen wir hier keine Experimente durchführen. Wir
wissen einfach worüber wir reden und wir können uns über viele Aspekte absolut
sicher sein.
Rationale Zahlen
Rationale Zahlen kann man sich als "alle Brüche" vorstellen. Oder alternativ als "Zahlen mit Komma", wobei hinter dem Komma entweder nur endlich viele Ziffern kommen dürfen so wie in 37,51 oder hinter dem Komma irgendwann eine Zahlenfolge anfängt sich zu wiederholen. Hinter dem Komma stehen dann zwar unendlich viele Ziffern, aber man muss sie nicht alle angeben, weil man irgendwann quasi "usw." sagen kann.
Alle Strecken diese Welt
Mit den rationalen Zahlen war man eine Weile ganz zufrieden. Man glaubte, das wären alle Zahlen, die man jemals brauchen würde. Die Länge jeder Strecke, die sich irgendwie konstruieren lässt, würde sich als rationale Zahl ausdrücken lassen.
Die Diagonale eines Quadrats mit der Kantenlänge 1 beträgt ungefähr 1.414.
Das ist zwar eine rationale Zahl, aber leider nicht der exakte Wert. 1,4142136 ist schon genauer, aber immer noch nicht exakt richtig. Geht man der Sache auf den Grund, so muss man feststellen, dass diese Zahl keine rationale Zahl sein kann. Es stellt sich nämlich heraus, dass das Quadrat dieser Zahl gleich 2 sein muss. Man sucht eine Zahl d für die gilt
d * d = 2
Die Frage, ob es eine rationale Zahl gibt, deren Quadrat 2 ist, muss man leider
verneinen. Keine rationale Zahl kann diese Eigenschaft haben.
Glücklicherweise kann man diese Zahl, die man "Wurzel aus zwei" getauft hat, näherungsweise beliebig genau berechnen. Man kann die ersten 7 Ziffern hinter dem Komma berechnen, oder die ersten 70 oder die ersten 700. Egal wie viele Ziffern man berechnet, das Ergebins ist immer eine rationale Zahl, denn man hat es stets mit einer endlichen Anzahl von Nachkommastellen zu tun.
Man kann also eine Folge von Näherungswerten definieren, die der gesuchten "Wurzel aus zwei" immer näher kommt und wo jedes Folgenelement eine rationale Zahl ist, und das obwohl man weiß, dass die Zahl der die Folge entgegenstrebt keine rationale Zahl sein kann.
Das ist gut und schlecht zugleich, aber eigentlich mehr gut als schlecht. Wir haben nämlich jetzt einen Weg gefunden die ominöse "Wurzel aus Zwei" dingfest zu machen. Wir sagen einfach "es ist die Zahl der diese Folge immer näher kommt". Die Zahl selbst können wir nicht hinschreiben, auch nicht unter Zuhilfenahme von "usw.". Aber wir können eine Formel hinschreiben, mit der man jedes Glied dieser Folge ausrechnen kann.
Zahlen zählen
Gibt es eigentlich mehr rationale Zahlen als ntürliche Zahlen? Also die Zahlen 1,2,3,4,usw und die Zahlen 1, 2/1, 1/2, 3/1, 2/2, 1/4 usw, sind das gleich viele? Normalerweise würde man die Dinger einfach zählen, aber da es unendlich viele sind führt uns das nicht weiter. Da erinnern wir uns, warum wir mit dem Zählen überhaupt angefangen haben: wir wollten nicht die Schafe neben die Ziegen stellen müssen.
Aber diese alte Verfahren kommt uns jetzt zuhilfe: wenn ich natürliche und rationale Zahlen nebeineinander aufreihen kann, so dass keine Zahl übrig bleibt, dann müssen es gleich viele sein. Wenn das nicht möglich ist und von der rationalen Zahlen immer welche über bleiben, dann gibt es mehr rationale Zahlen als natürliche Zahlen.
Nun kann man aus rationalen Zahlen und natürlichen Zahlen tatsächlich lauter
Pärchen bilden, ohne dass eine Zahl übrig bleibt. Dazu schreibt man alle rationalen Zahlen in folgendem Schema auf
Dann folgt man den Pfeilen und sagt: 1/1 ist die erste rationale Zahl, 1/2 ist die zweite usw.
Jede rationale Zahl wird irgendwann erreicht und bekommt ihre Nummer. So findet sich für jede rationale Zahl eine natürliche Zahl (und umgekehrt). Wir müssen einsehen, dass es nicht mehr rationale Zahlen als natürliche Zahlen geben kann.
Man nennt diese Eigenschaft der rationalen Zahlen
abzählbar. Abzählbar heiß nicht, dass ich etwas zählen kann, so dass ich am Ende weiß es sind soundsoviele. Es heißt, dass ich etwas in eine Reihenfolge bringen kann, quasi
alle Elemente in eine Kette bringen kann. Ich kann dann sagen: das ist das erste und jenes ist das zweite Element usw. Wenn das nicht gehen sollte (was kaum vorstellbar ist), dann redet man von einer
überabzählbaren Menge.
- wird fortgesetzt -