Erst nahmen sie sich die Raucher vor ...

Erst nahmen sie sich die Raucher vor und ich habe den Mund gehalten. Dann nahmen sie sich die Trinker vor und ich habe den Mund gehalten. Dann nahmen sie sich die Dicken vor und ich habe den Mund gehalten. Dann nahmen sie sich mich vor. (Frei nach Martin Niemöller)

Sonntag, 9. Juni 2019

Das Administrator-Problem eines freien Internets

Das anonymisierende Tor Netzwerk wurde ursprünglich entwickelt, um zu verhindern, dass tyrannische Regimes ihren Bürgern den Zugang zu Information verweigern können. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass Tor alleine nicht ausreicht, um einen ungestörten Informationsfluss zu gewährleisten.

Tor und Darknet bedeuten im Wesentlichen dasselbe. Im Darknet werden in nennenswertem Ausmaß Drogen gehandelt. Kinderpronographie und Waffen spielen dagegen keine große Rolle.

Aber auch konventionelle Nachrichten werden auf dem Darknet veröffentlicht. Die New York Times hat eine eigene Darknet Seite. Auch für Whistleblower ist das Darknet wichtig. Die Aussage, dass auf dem Darknet vor allem mit Drogen und anderen illegalen Dingen gehandelt ist, stimmt nicht.

Darknet Marktpläte überleben selten länger als drei Jahre. Entweder machen sich die Betreiber aus dem Staub oder die Marktplätze werden von der Polizei beschlagnahmt und entweder sofort geschlossen oder noch eine Weile weiter betrieben, um an die persönlichen Daten der Kunden zu kommen. Nur wenige Marktplätze sterben eines natürlichen Todes und werden von den Betreibern geordnet geschlossen.

Brauchen ehrliche Leute ein freies Internet?

Wer sich nicht für Drogen interessiert mag dies mit einem Achselzucken quittieren. Es trifft ja keine Unschuldigen. 2018 und 2019 wurden aber auch Nachrichten Seiten geschlossen.

Da war zum einen Deutschland im im Deep Web, ein Forum, das völlig frei von Zensur war. Es lässt sich nicht verhindern, dass in einem solchen Forum nicht nur schräge Themen diskutiert werden, sondern auch Drogen angeboten werden. Man kann allerdings einwenden, dass sein Betreiber "Luckyspax" Drogen und Waffen allzu unkritisch gegenüberstand. Die Waffe die 2016 bei dem Amoklauf in München verwendet wurde, wurde über diesen Dienst verkauft. Luckyspax bekam dafür sechs Jahre, der eigentliche Verkäufer sieben.

Die Nachrichtenseite Deep Dot Web befand sich nicht einmal im Darknet, sondern im öffentlich zugänglichen Teil des Internets, dem "clearnet". Sie berichtete jedoch über das Darknet und veröffentlichte Links zu Darknet Marktplätzen. Sie wurde im Mai 2019 geschlossen und seine Betreiber verhaftet. Zur gleichen Zeit wurde auch der Darknet Marktplatz "Wall Street Market" geschlossen.

Ebenfalls Ende 2018, Anfang 2019 wurden zunehmend Zensurvorwürfe gegebüber Youtube, Facebook, Twitter und Patreon laut. Patreon ist ein Dienst, der es Konsumenten erleichtert, Youtuber finanziell zu unterstützen. Der Youtuber Carl Benjamin ("Sargon of Akkad") war der erste, dessen Verbannung von Patreon große Wellen schlug. Einige andere prominente Youtuber kündigten darauf hin von sich auch ihre Mitgliedschaft bei Patreon.

Patreon ist nicht der Einzige Dienst dieser Art. Dem Konkurrenzprodukt "SubscribeStar" wurde jedoch von PayPal die Zusammenarbeit verweigert. Derzeit wird von Lior Leser und anderen eine Beschwerde bei der Federal Trade Commition (FTC) vorbereitet, da er - wenig überraschend - hier wettbwerbswidriges Verhalten sieht.

Ein freies Internet ist so wichtig wie eine freie Presse. Es ist im Grunde sogar noch wichtiger, denn die Presse liegt in den Händen von Wenigen und diese Wenigen lassen sich mit Geld und guten Worten beeinflussen. Zwar kann man auch das "ganze Volk" in die Irre führen, aber das ist viel aufwändiger, erst recht, wenn das Volk Zugang zu freien Informationen hat.

Single Points of failure

Die oben angeführten Schließungen war nur deshalb möglich, weil die beschrieben Dienste an bestimmten neuralgischen Punkten angreifbar waren. Zwar laufen solche Dienste selten auf einem einzigen Server, sondern verteilen sich auf einige "Mirrors", aber mehr als ein paar Duzend Mirrors kommen da kaum zusammen, schließlich müssen die Betreiber dafür bezahlen.

Noch gravierender ist die Tatsache, dass solche Dienste von höchstens einer handvoll Personen betrieben wird.

Tor macht es zwar schwierig, die Server und die Betreiber eines Dienstes zu finden, aber wenn diese Hürde genommen ist, reicht es aus einige Dutzend Server zu beschlagnahmen und eine Handvoll Leute zu verhaften, um den Dienst zu vernichten.

Ein freies Internet muss solche Achillesfersen unter allen Umständen vermeiden.

Serverless

Es gibt bereits eine Reihe von Technologien, mit deren Hilfe Netzwerke ohne zentrale Server aufgebaut werden können. In einem solchen Netzwerk sind die Rechner der Benutzer mehr oder weniger gleichberechtigt und gemeinsam spannen sie das Netz auf.

Das Tor Netzwerk selbst ist ein solches "serverloses" Netzwerk. An diesem Netz kann sich jeder beteiligen und das Netz lässt sich nicht ohne weiteres abschalten.

Auch das Bitcoion Netzwerk arbeitet ohne dedizierte Server. Jeder kann sich als "miner" daran beteiligen, wenn auch in der Praxis dazu eine  Rechenleistung benötigt wird, die nur Wenige zur Verfügung haben.

Bittorrent und Webtorrent sind weitere Technologien, die es Benutzern erlauben direkt, ohne zentrale Instanz, miteinander zu kommunizieren. Solche peer-to-peer Netze sind aber immer noch angreifbar, wenn sie einen zentralen Verzeichnisdienst anbieten. Zwar werden Daten immer direkt zwischen den Nutzern ausgetauscht, aber das Wissen, wer welche Daten anbietet wurde früher oft von einem zentralen "Tracker" verwaltet. Auch Napster hatte seinerzeit eine solche Schwachstelle und wurde prompt geschlossen.


Adminless

Es sind also bereits Technologien vorhanden, die einen Dienst auf so viele Schultern verteilen, dass er sich nicht mehr abschalten lässt. Aber so lange es noch ausgezeichneten Administratoren gibt, hilft das nur wenig.

Nachrichtenseiten und Darknet Märkte werden von wenigen Administratoren betrieben. Sie halten den Dienst am Leben. In Darknet Märkten schlichten sie Streitfälle und riskieren Gefängnisstrafen. Dafür kassieren sie Provisionen. Dieser finanzielle Anreiz dürfte einer der Gründe dafür sein, dass es Darknet Marktplätze überhaupt gibt.

In einem freien Internet funktioniert dieses Modell nicht mehr, denn verhaftet man die Administratoren, stirbt mit ihnen auch der Dienst. Entweder muss man auf einen finanziellen Anreiz komplett verzichten, oder man muss diesen auf sehr viele Köpfe verteilen.

Ohne Administratoren schwinden aber auch die Möglichkeiten, Einfluss auf den Dienst zu nehmen. Ein Dienst lässt sich nur modifizieren, indem das darunterliegende Protokoll selbst geändert wird. Man kann beispielsweise nicht mehr bestimmte Benutzer verbannen, selbst wenn diese gegen die Interessen des Dienstes agieren. Ein wirklich freier Dienst ist immun gegen jegliche Einflussnahme, auch gegen die der Guten.

Ideen kann man nicht schließen

Das Bitcoin-Netzwerk hat beide Problem schlau gelöst. Ein finanzieller Anreiz ist gegeben, aber nicht an bestimmte Personen gebunden. Das darunterliegende Protokoll wurde bereits viele Male geändert. Dabei wurde nicht in einen zentralen Server eingegriffen (den es ja nicht gibt), sondern es wurde neue Software veröffentlicht. Bitcoin hat es in so fern einfach, als dieses Netz einem eng umschrieben Zweck dient. Es besteht keine Gefahr, dass über dieses Netz Kinderpornographie verbreitet wird. Man kann damit bezahlen und sonst nichts.

Beim Tor-Netzwerk gibt es keinen finanziellen Anreiz, sich am Netz zu beteiligen. Dennoch fanden sich hinreichend viele Idealisten, die dieses Netz am Leben halten.

In beiden Fällen wird das Netz durch ein Protokoll definiert. Es gibt keinen großen Unterschied zwischen einem Protokoll einer Idee und beiden gemeinsam ist, dass man sie nicht schließen kann, indem man irgendwo den Stecker herauszieht.

Fazit

Solange das "Administrator-Problem" nicht gelöst ist, bleiben Internet Dienste angreifbar. Aber selbst wenn dieses Problem gelöst ist, bleiben zwei Schwachstellen: Finanzdienstleister können, wie im Fall von Patreon/Paypal, unangenehmen Dienstleistern ihr Einkommen nehmen und wenn Waren per Post verschickt werden gehen sie wieder durch einen Dienst, der von Wenigen kontrolliert wird. Bitcoin könnte das erste Problem entschärfen, für das zweite ist noch keine Lösung in Sicht.